Freitag, 25. Mai 2012

Der Abrisswahn und die Folgen

Von der Stimmungshochburg zur Plastikschalenwüste. Nach 86 Jahren wird das Georg-Melches-Stadion an der Hafenstraße in Essen abgerissen. RW Essen spielt künftig in einem Neubau wenige Meter weiter. Das ist gefährlich, denn häufig rauben neue Arenen den kleineren Traditionsklubs ihr Gesicht - anstatt sie zu sanieren.
Das Georg-Melches-Stadion in Essen im Jahr 2005. Hier wird nie wieder ein Fußballspiel stattfinden

Dies ist kein Beitrag für Leute, die 2006 auf der Fanmeile zum ersten Mal bewusst ein Fußballspiel gesehen haben. Und auch nicht für solche, deren Liebe zu Borussia Dortmund erst vor zwei Jahren wieder erstarkt ist. Dies ist ein Beitrag für Leute, die Montagsabends auf den - alten - Stufen am Millerntor gestanden haben, sich auf dem alten Tivoli gedrängt haben oder die gerne an die Hafenstraße gingen.

Ja, dieser Beitrag ist mit heißem Herz und nicht mit kühler Feder geschrieben. Das klingt vielleicht nach kitschiger Früher-War-Alles-Besser-Romantik, die mit den Bundesliga-Neubauten und der (überzeugenden) Wutrede von Uli Hoeness ("Eure Scheiß Stimmung") doch eigentlich überwunden geglaubt war. Das stimmt nicht ganz. Denn bei einigen Vereinen ist das Thema aktueller denn je. 

Die großen Klubs in Deutschland spielen längst modernen Arenen. Das ist nötig wie professionell, wenn man bedenkt, dass die Bedeutung des Fußballs niemals höher war als in der heutigen Zeit. Und wer will schon etwas gegen die Entwicklung sagen, dass Dortmund mit 80000 (!) Fans zum Pokalfinale nach Berlin kommt, dass hunderttausende Menschen Spiele zwischen dem BVB und Bayern sehen wollen, dass die Nationalspieler so populär sind, wie noch nie? Geschenkt.

Es geht in diesem Text nicht um die Großen, die die Massen begeistern - es geht um die Kleinen, besser gesagt: Die Kleineren, die früher Großen; und die, die den Fußball kennen, bevor er so populär wie heute wurde. Natürlich, sie eifern den Großen nach. Das aber bedroht sie in ihrem Wesen. 

Eng, enger, Tivoli. Damals renovierungsbedürftig, heute abgerissen.

Der neue Fertigbeton hat nicht nur Einzug die neuen Hauptorte der dritten Liga, wie Heidenheim und Wehen gehalten. Längst wurden damit auch die traditionsreichen Orte der Vergangenheit planiert. Ende der 90er Jahre wurden er zunächst auf der Bielefelder Alm verlegt, inzwischen ist er auch auf dem Bieberer Berg in Offenbach installiert, das Tivoli-Stadion in Aachen ist von einem Hexenkessel zur Plastikschalenwüste mutiert. Und nun wird auch in Essen ein neues Stadion gebaut.

Die Vereine betonen die Notwendigkeit kompletter Stadionneubauten. Weit am Horizont steht für sie irgendwo eine Rückkehr auf die große Fußballbühne. Was die Klubs dabei vergessen, sind die Faktoren, die ihren Verein noch immer attraktiv erscheinen lassen. Dinge, die bei Vereinen direkt unterhalb des Profifußballs viel wichtiger sind, als bei den Big-Playern, wo die Masse, die riesige Medienpräsenz, alles vieles ausgleicht.

Faktoren, wie die drei Tribünen von Essen, wie die Steh-Gegengerade in Bielefeld. Ein bisschen schief, ein bisschen unperfekt, ein bisschen alt - aber mit einer Verbindung zu dem, was den Verein ausmachte, als die Leute von ihm fasziniert wurden. Sie atmet Geschichte, erzeugt Atmosphäre. Natürlich modernisierungsbedürftig - allerdings: Nicht abrisswürdig!

Die richtige Balance zwischen Alt und Neu ist in vielen neuen Stadien der sogenannten Traditionsvereine mittlerweile ausradiert. Das ist gefährlich. Man kann eine neue Steh-Tribüne, wie in Offenbach bauen, die Faszination der alten wird sie nicht mehr erreichen. Man kann ein neues Stadion in Essen bauen - die alte Haupttribüne wird unerreicht bleiben. 

Die Alte Försterei in Berlin nach der Modernisierung. Der Charakter des Stadions wurde beibehalten.

Viele der Klubs setzen vor einem Neubau ihre ganze Hoffnung in eine moderne Arena. Motto: Wenn das Ding erstmal steht, wird schon alles gut. Dass eben nicht alles gut wird, das wird gerne vergessen. In Wahrheit blenden sie den ohnehin schmalen Grad zwischen Notwendigkeit und Flair des Klubs, das zunächst vielleicht Unbewusste, vollständig aus - die Finanzierung einmal völlig außen vor gelassen. 

Den Spagat zwischen neuem Stadion, neuer Begeisterung und Wahrung des Gesichts haben unterhalb der 1. und 2. Liga bislang jedenfalls viel weniger Vereine gemeistert, als man es zunächst annehmen konnte. 

Ja, ein neues Stadion ist wichtig für die Zukunft - genauso wichtig aber ist es, die Vergangenheit zu bewahren. Das gilt besonders für die Vereine, die kaum etwas anderes haben, als die schöne Erinnerung an frühere Zeiten.

Übrigens: Es gibt auch Beispiele, wo es vorbildlich gelungen ist, eine Spielstätte zukunftstauglich zu machen und zugleich ihren Charakter beizubehalten, wie etwa an der Alten Försterei in Berlin. Woanders kommt die Planierraupe.

Glaubt jemand ernsthaft, dass der neue Bieberer Berg das neue Sparda-Bank-Hessen-Stadion, die neue Hafenstraße anders werden als die Alm Schüco Arena, der Tivoli? Auf Jahre hinaus nehmen sich Vereine wie Offenbach und Essen mit den Neubauten ein Stück ihrer Faszination.

Mittwoch, 16. Mai 2012

Zu viel Fanatismus

Der Fußball hat eine emotionale Aufladung erreicht, die manchen Fans nicht gut tut. Vereine und auch die Deutsche Fußball Liga sollten daraus lernen.

Keine Erfindung der Düsseldorfer. Auch in Frankfurt (hier 2011) hat man Erfahrung in Sachen Platzsturm.

Ich brauche niemandem zu erzählen, welche Entwicklung der Fußball in den letzten 15 Jahren in Deutschland durchgemacht hat. Die Bundesliga hat neue Stadien bekommen, die Spielergehälter springen ebenso wie die Zuschauerzahlen auf immer neue Rekordhöhen. Kurz: Der Fußball ist so populär wie nie.
 

Das absurdeste Beispiel bietet mein eigener Verein: Der 1. FC Köln spielte in den 80er Jahren hocherfolgreich vor leeren Rängen im tristen Müngersdorf. Heute spielt er höchst unattraktiv vor vollen Rängen im modernen Stadion.

Was ist da passiert?

Die emotionale Aufladung des Spiels bewegt sich mittlerweile in Sphären, die früher nur schwer vorstellbar waren. Klar, Fußball war immer emotional und natürlich: Es gibt nichts Schöneres, als ein Torjubel für die eigene Mannschaft in der letzten Spielminute. Es scheint aber die Tendenz zu geben, dass wir mittlerweile ein Niveau erreicht haben, wo man einigen Leuten sagen muss: Hey, schaltet mal einen Gang zurück. Es ist Fußball.

Beim 1. FC Köln habe ich das in dieser Saison automatisch gemacht - sonst hätte ich mich vor Ärger ja völlig zerfressen. Meine Lebensfreude aufgrund einiger Menschen aufgeben, die ihre Sache nicht ernst nehmen und dafür noch Millionen verdienen? Nein!

Am Ende dieser Saison haben wir erlebt, dass es bei vielen Vereinen Gruppen gibt, die mit emotionalen Extremsituation nicht umgehen können, sei es in Karlsruhe, Köln oder eben im Stadion von Düsseldorf.

Wir sollten uns fragen, wie weit wir den Fußball noch in den Himmel heben wollen oder ob wir ihn nicht mal das betrachten sollten, was es ist: Ein Spiel, die schönste Nebensache der Welt. 


Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich bin auch weiter dafür, Montagsabends mit dem eigenen Verein nach Cottbus, Aue oder sonstwohin zu fahren. Verrückte Sachen zu machen, tolle Erlebnisse zu haben, seinen Klub zu lieben. In einigen Situationen ist es jedoch wichtig, das alles richtig einordnen zu können.

Nicht nur die Fans, auch die Deutsche Fußball Liga und die Vereine sollten sich hinterfragen: Wie viel Geld schmeißen die Klubs ihren Spielern hinterher? Und wie viel investieren sie im Vergleich, um ihre Fans mäßigend zu erreichen? Muss man im Zuge dieser riesigen Geldmaschine Bundesliga neben dem Profit nicht noch mehr an die eigene Verantwortung denken?

Und in Richtung DFL: Ist es richtig, den Terminplan mit einer Relegation am Ende der Saison noch einmal derart zuzuspitzen? Noch einmal eine große Bühne, ein finaler Showdown und damit noch einmal die ganz großen Emotionen nach Saisonende herauskitzeln zu wollen. Eigentlich eine tolle Sache.


Wenn man jedoch die Relegationsspiele in dieser Saison sieht, muss man sagen: Es ist zu viel.